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Der Frühling naht...

... und auf dem Kopf sprießt es auch endlich wieder


Ich möchte nicht wissen, wie viel Kohle ich in der Vergangenheit in meine Haare reingesteckt habe. Blond ist Luxus. Zahlreiche Friseurbesuche, duzende markenhafte Pflegeprodukte und sonstige Items hatten ihren stolzen Preis.


Das Fell musste ab:


Meine Onkologin prophezeite mir, dass in etwa drei Wochen nach Start der Chemotherapie die Haare anfangen würden auszufallen. Das Grauen. Ich, super eitel und oberflächlich was mich selbst betrifft, wurde anscheinend nun dafür bestraft. In Facebook wandte ich mich an eine tolle Gruppe, die sich mit Styling und Make-up auseinander setzt. Ich war über diese Nachricht so schockiert, dass ich mich dieser wunderbare Gemeinde anvertraut habe. Ich wusste nicht ob meine Kopfhaut spezielle Pflege brauchen würde oder geschweige denn, wo ich eine vernünftige Perücke her bekommen sollte. Ich bekam so viele Tipps und so viel Zuspruch, das war wirklich unglaublich. Einige kommentierten meinen Post mit: "Mit diesem Gesicht wirst du auch eine Glatze rocken!" Ich fühlte mich sehr geehrt. So viel Zuspruch von Fremden hätte ich mir niemals erträumt.


Eines Tages war es dann so weit. Die Büschel, nein was erzähle ich, ganze Wollknäule befanden sich in meiner rosafarbenen Haarbürste. Bei jedem dieser Anblicke klopfte mein Herz bis zum Hals. Die Zeit des Kahlschlags war gekommen. Mit Tränen in den Augen versuchte ich stets behutsame Streichbewegungen auszuführen. Ich trug nur noch einen Dutt, damit ich sie wie eine Herde von Schafen beisammen halten konnte. Zumindest versuchte ich es. Es nützte dennoch nichts. So sehr ich mich gegen diese Tatsache wehrte, es nahm einfach seinen Lauf. Meine Kleidung war über und über von Haaren übersäht. Das ganze Bett war voll davon, obwohl die Bettwäsche natürlich jeden Tag gewechselt worden war. Irgendwann flogen sie mir permanent ins Essen. Es ekelte mich nur noch an. Ich beschloss, dass sie runter mussten. Außerdem sah man bei näherer Betrachtung, dass ich teilweise schon kahl geworden war. Diese Tatsache konnten meine dicken, dichten und starken Haare irgendwann auch nicht mehr verbergen.


So stand der Entschluss fest. Dank Corona und Kontaktbeschränkung lief dies natürlich nicht so von statten, wie ich es mir gedanklich ausgemalt hatte. Ich wollte dass meine Cousine, meine Vertraute, eine aus dem engsten Kreis, die Rasur vornahm, weil ich weiß wie stark und geerdet sie ist. Ihre psychologischen Ratschläge haben mir schon oft weiter geholfen. Dadurch habe ich mich weniger verloren gefühlt.

Laut den Bestimmungen durften ich also auf einmal nur noch zwei feste Personen als Besucher empfangen. Dazu gehörte sie leider nicht, da sie in einer anderen Stadt studierte und deshalb nicht so regelmäßig anwesend seien konnte, wie andere meiner Vertrauten.

So übertrug ich diese Aufgabe meiner Mutter. Auch ihre Nerven lagen, wie ihr euch denken könnt, sehr blank. Die Tatsache, dass das Jüngste ihrer Kinder oder besser gesagt eines ihrer Kinder, an Krebs erkrankt, traf sie logischerweise durch Mark und Bein.


So wurden wir von einer Krankenschwester mit zweierlei Rasieren ausgestattet. Der Boden des kühlen und dunklen Badezimmers war für den Moment mit Papierlaken ausgekleidet. Ich wollte mir meinen kleinen Spiegel auf den Heizkörper stellen, zu dem mein Blick gewandt war. Gott sei Dank riet mir meine Mutter davon ab. Denn wir beide haben allein durch dieses Erlebnis, durch das Wissen, abertausende Krokodilstränen vergossen. Sie wollte nicht, dass es mich noch mehr bestürzen würde.

Nun saß ich da, auf diesem Toilettenstuhl. Meine Mutter hinter mir mir der brummenden Maschine. Mit jede Mal, mit jedem Strich des Mähens, entschuldigte sie sich permanent mitleidsvoll. Bestimmt tat es ihr so weh, als wären es ihre eigenen Haare.

Als es geschafft war, wollte ich mich nicht


im Spiegel ansehen. Ich wollte den neuen Haarschnitt nicht einmal anfassen. Allein der Gedanke widerte mich an. Ich merkte nur die kalte Luft, die ich nun auf meiner Platte spüren konnte. Ich brauchte nun Mützen, denn ich hatte unterschätzt wie frisch es da oben jetzt war.

Als die Krankenschwester wieder einmal nach dem Rechten sah, bewunderte sie mich. Von da an verfolgten mich Sätze wie:

"Die wachsen ja wieder!"

"Wow, das sieht echt gut aus."

"Nicht jeder kann Glatze tragen."

"Du siehst aus wie ein Model."

"Du siehst aus wie Sinéad O'Connor ."

"Hier sind schon Leute raus gegangen, denen hat es schlechter gestanden."

"Darf ich mal anfassen?"


Jeglicher Lobesgesang hörte sich für

mich falsch an. Ich konnte es nicht ernst nehmen, weil ich mich selbst nicht so annehmen konnte. Auch wenn es bestimmt ernst gemeint war, konnte ich den anderen nicht glauben.


Nach einer Stunde des Ringens tat ich das ohnehin Unvermeidbare. Ich warf einen Blick in den Spiegel. Ich untersuchte mich regelrecht. Beäugte mich. Fasste sie an, das Ungeheuer. Ich klappte meine Ohren um und sah noch ein wenig Flaum, der sich versteckt hatte. Das ging gar nicht, dachte ich mir. Wenn schon, dann muss es ordentlich aussehen. Ich griff jetzt selber zum Rasierer und korrigierte nach. Trotzdem, das unwohle Gefühl, die Trauer um die Mähne blieb.


Der Satz, "die kommen ja wieder!", ist absolut NICHT hilfreich. Ich bitte euch inständig darum, das auf keinen Fall einem Betroffenen zu sagen. NIEMALS! Ich könnte noch jetzt gedanklich in Brechreiz verfallen, wenn mir das jemand sagt.

  1. ... wird man diesen Satz sowieso ununterbrochen hören. Egal von wem.

  2. Mir ist schon klar dass meine Haare irgendwann wieder kommen werden, nur hasse ich JETZT mein Aussehen. In diesem Augenblick ist man nicht mit sich im reinen. Es ist keine 100%ig freiwillige Entscheidung gewesen, diesen großen Schritt zu wagen.

  3. Bei mir hing so viel an meinen Haaren dran. Nicht nur, dass ich mich selbst damit als schön empfand, sie gaben mir auch Selbstbewusstsein. Ich wurde oft gelobt und beneidet für diese Pracht. Lange blonde Haare sind außerdem ein Flirtfaktor. Auch wenn das mit Sicherheit jeder Mann nicht freiwillig zugeben würde. Außerdem waren sie wie ein Markenzeichen für mich geworden. Die Vorstellung, ich müsse jetzt ungefähr sechs Jahre warten bis ich meine alte Länge hab, bereitet mir immer noch Kopfschmerzen. Ich fühle mich, als hätte ich einfach einen Teil von mir verloren.

Freitag, letzter Woche, war es so weit. Ich spürte endlich, wie ich mir wieder näher kam. Ich empfand wieder mehr Wertschätzung gegenüber mir selbst, ohne dass ich mich hinter einer Mütze oder Perücke versteckte. Meine Haare haben wieder zu sprießen angefangen und das nicht zu knapp. Circa fünf Millimeter kann ich jetzt meine neue stolze Haarlänge nennen. Ich hatte auch nicht mehr diese Fressattacken, weil meine Medikation endlich umgestellt worden war. Mein Gewicht fing wieder an sich etwas zu regulieren.


Als ich nun an diesem wundervollen Tag einige Dinge zu erledigen hatte (Arzt, Apotheke, tanken...), kam ich so richtig schön ins Schwitzen. Das ist wirklich alles andere als angenehm in diesem ohnehin schon angeschlagenem Zustand.

Hitzewallungen fühlen sich für mich persönlich wie der Grenzschritt zur Ohnmacht an.

Erstmals nahm ich in der Öffentlichkeit meine Mütze ab. Es fühlte sich gut an. Es war wie eine Befreiung. Die Frühlingsluft wusch meinen Kopf, so empfand ich das. Gut, die Leute gucken schon irritiert, wenn eine Frau mit so kurzen Haaren rum rennt aber darüber kann ich nun sowas von gut drüber stehen. Ich bin ein Stück weit stolzer auf mich, dass ich es geschafft habe mich selbst wieder anzuerkennen und mich lieb zu gewinnen.

Dieses Gefühl in den Spiegel zu sehen, mit riesigen Ohrringen geschmückt und einem neunen Haufen Selbstbewusstsein, ist saugeil! Ich kann nun endlich wieder sagen: "Ich habe MICH lieb."








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Commentaires


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Hi, danke fürs Vorbeischauen!

Ich freue mich darüber, dass Du dich dafür entschieden hast, dich mit dem Thema "Krebs" ein wenig auseinander zu setzten. Leider Gottes kann es jeden treffen. Wichtig ist, Du bist nicht alleine.

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