Zwang - Stärke
Weil ich es muss.
Kaum vergeht mehr ein Tag an dem ich nicht für meine "Stärke" bewundert werde. Ja, tatsächlich ist das irgendwie schmeichelhaft, aber hab ich denn überhaupt eine Wahl?
Gestolpert von einer Therapie zur nächsten, bestritt ich die letzten sechs Monaten mein Leben. Ich musste mich nicht einmal um die Termine kümmern. Der Weg wurde mir automatisch bereitet. Regelmäßig wurde ich telefonisch an Termine erinnert und gefragt, ob es mir so gut gehe, ob ich ihn denn wahrnehmen könnte. Wie eine Marionette ohne Wahl ließ ich alles mögliche über mich ergehen. Spritzen, Nadelstiche, Punktionen, eine OP, Gifte, Strahlung, Nebenwirkungen... Meine Emotionen hatte ich nur mit Tabletten unter Kontrolle. Ich schrie, fluchte, heulte, bemitleidete mich selbst, machte mich selbst fertig. Ist das ehrenwert?
Ich war in akuter Lebensgefahr, doch für die Mediziner nicht aussichtslos. Ich wäre nur gestorben, wenn ich der Prozedur nicht zugestimmt hätte. Es war wie ein Automatismus.
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Ich möchte definitiv klar stellen, dass nicht ich der Held bin, sondern die Menschen um mich herum. Sie mussten meine Launen ertragen, mich pflegen, aufbauen, Botendienste erledigen, mein Kind versorgen, für mich da zu sein und noch viele weitere Dinge. Sie hatten die freie Wahl, ich nicht. Jederzeit hätte jemand sagen können: "Nö, mach ich nicht." Doch für mein Umfeld war es das selbstverständlichste auf der Welt mich aufzufangen. Ohne die Menschen "hinter den Kulissen" wäre gar nichts gelaufen. Auf sich gestellt zu sein, so in dieser Situation, funktioniert nie im Leben. Kein Krebskranker hat die volle Energie um weiter zu machen wie bisher.
Sonnenscheinchen war so unheimlich tapfer. 30 Tage durften wir uns nicht sehen. Sequenzenweise haben wir unseren Kontakt über Video-call gehalten. Am Telefon hat er nie geweint. Manchmal ist er stiller geworden, wenn ihn die Trennung besonders in sein kleines Herz traf, doch er zeigte es nicht offen. Er ist mein persönlicher Held in dieser Story. Wer den Bezug erkannt hat mit "Der Gesichte vom kleinen Stern", lag völlig richtig.
Der einzige Mut der mir zu Teil wird ist, dass ich eingewilligt habe. Eingewilligt um zu leben, mich der Verantwortungen nicht zu entziehen, den hohen Preis der Nebenwirkungen in Kauf zu nehmen. Ich möchte einfach nur normal sein. Ich koche auch nur mit Wasser und mein Pflichtgefühl zwingt mich einfach nur das Richtige zu tun.
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