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Wie fühlt sich eine Chemo an?

Die folgende Ausführung ist meine persönliche Erfahrung und Empfindung. Nicht jeder Mensch ist gleich.

 

Chemotherapie, ein großes Wort. Furchteinflößend. Viele Fragen kamen mir in meinen Kopf, als ich das erste mal hörte, dass mir das blühen würde.

Was sind die Nebenwirkungen? Werde ich dadurch unfruchtbar? Wann und ob fallen mir die Haare aus? Werde ich das überstehen? Muss ich während der gesamten Therapie im Krankenhaus sein? Werde ich daran sterben? Hilfe, was ist das für ein Gift?


In der Ausbildung gab es natürlich eine Unterrichtseinheit zum Thema Gefahrenstoffe. Auf einmal war diese Aussage der Dozentin wieder präsent in meinen Gehirnwindungen: Einzig und allein auf Chemoinfusionen fehlt der Warnhinweis, dass es sich dabei um Giftstoffe handelt. Der Grund: damit Patienten nicht beunruhigt werden.


Hintergrundwissen kann manchmal echt ätzend sein. Szenarien, wie ich nur noch die Toilettenschüssel umarmen würde, kamen mir spontan in den Kopf. Ich malte mir aus, wie ich ohne Haupthaar, Augenbrauen und Wimpern aussehen würde. Ich stellte mir vor, wie ich keinen Bissen mehr vor Übelkeit herunter bekommen würde. Und wieder einmal hatte mich die Angst mehr im Griff. Die Ärzte versuchten mich zu beruhigen und erklärten mir, dass sie schwere Geschütze auffahren können, sollte es mit der Übelkeit wirklich so schlimm werden. Tatsächlich beginnt der Haarausfall zwei bis drei Wochen nach Beginn der ersten Chemotherapie. Augenbrauen und Wimpern sind zwar dünner geworden aber nicht komplett ausgefallen.


NICHTS wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Mein riesen Vorteil ist natürlich, dass ich noch jung bin. Ich habe keine sonstigen Vorerkrankungen, die hätten berücksichtigt werden müssen. Nur auf mein Herz musste man nur ein bisschen zusätzlich Acht geben.


Ich habe eine kombinierte Infusionstherapie bekommen. R-CHOP hieß diese Art der Systemtherapie. Zu der Chemotherapie kommt noch die Behandlung mit Antikörpern und Cortison hinzu. Insgesamt hatte ich sechs Zyklen und noch zwei mal Antikörper extra. Die Therapie wird im vierzehntägigem Rhythmus verabreicht. In der Zwischenzeit kann sich so das Knochenmark erholen. Die ersten zwei Zyklen habe ich stationär erhalten, da ich mich zu dem Zeitpunkt in akuter Lebensgefahr befand. Die restlichen vier durfte ich ambulant abrocken.

Bei der ersten Anwendung des Antikörpers können schwere allergische Reaktionen hervor gerufen werden, deshalb wird ein Antihistaminikum vorweg gespritzt. Das macht in der Regel seeeeehr müde. Habe somit den ersten Tag komplett verschlafen.

Das nervigste an der ersten Chemotherapie war natürlich die Aufregung. Ich wurde an 6m langen Kabeln angestöpselt, damit ich es mit der Leine zumindest noch bis zum Töpfchen schaffen würde.

Während das ganze Zeug so in mich hinein tröpfelte, verspürte ich eigentlich nichts. Es dauerte jedes mal nur elendig lange.


Unbedingt entgiften - diese ganzen Stoffe müssen unbedingt so gut es geht vom Körper ausgeschieden werden. VIEL Flüssigkeit und pardon, auch das andere... Super wichtig, WEIL bleibt das ganze Zeug länger als es muss, wirst du die Wände hoch gehen. Abführen ist in diesem Zusammenhang super wichtig. Dein Bewusstsein ist völlig verändert. Du kannst dich 0, gar nicht konzentrieren. Du fühlst dich, als wärst du in ein anderes Universum geschossen worden und ET möchte verzweifelt nach Hause telefonieren. Also für jemanden so wie mich, der mit 420 nichts am Hut hat, so stell ich mir den schlimmsten Trip vor, aus dem Psychosen entstehen.


Präventiv wurden mir Medis gegen Übelkeit systemisch gespritzt, also in meinen Zugang. Auch die haben mich so ziemlich aus dem Leben geballert. Ich wusste wirklich nicht, dass ich darauf so super empfindlich bin. Ich bestand schließlich darauf alles wegzulassen. Ich konnte dieses halbbetäubte, verwaschene Gefühl nicht ertragen. Ich wollte wieder klare Gedanken fassen können. Ich fühlte mich, als hätte ich gedankenmäßig einen Schlaganfall, der mich beim denken lähmte.

Und siehe da, ohne dieses Zeug wurde ich von Tag zu Tag wieder klarer im Kopf. Ich hatte pures Glück, dass ich kein bisschen Übelkeit verspürte.


Kribbeln - eines der wohl bekanntesten und lästigsten Nebenwirkungen. Nervenenden drohen zu platzen und abzusterben, wollen stimuliert werden. Gefühlslosigkeit und Empfindungsstörungen in den Fingern und an den Fußsohlen machten sich breit. Lass die Nerven arbeiten, sonst könnte das Gefühl im schlimmsten Fall so bleiben. Ich kaufte mir einen Peelinghandschuh. Immer wenn ich im Bett so vor mich hin lag, rieb ich meine Finger drüber und spielte mit dem Teil. Ein stoppeliger Partner mit Dreitagebart hat übrigens die selbe Wirkung, FALLS er es gut findet gekrault zu werden. Igelbälle sind auch sehr empfohlen - hatte ich nicht.


Die Kondition ist richtig im Eimer. Als ich aus der Klinik entlassen worden bin, musste ich mich langsam hocharbeiten. Ich war anfangs schon stolz auf mich, wenn ich es geschafft habe, den Geschirrspüler auszuräumen ohne zu kollabieren. Mittlerweile darf ich zwar noch keinen Sport machen aber wenn ich wollte, dürfte ich stundenlang spazieren (Herzschmerz und wegen der Bestrahlung noch). Nur nicht den Mut verlieren. Man muss am Ball bleiben und darf sich auf keinen Fall gehen lassen. Tue das, was dir gut tut aber bitte nicht nur schlafen und liegen.


Natürlich ist der Schwindel auch eine beliebte Nebenwirkung. Wann immer er dich einholt, es ist immer ungünstig. Ob beim einkaufen an der Kasse, beim kochen oder sonstigen Terminen. Wäre ja zu schön, wenn er nur käme, wenn man ohnehin zu Hause ist.


Schlaflosigkeit. Ich hasse sie. Angefangen hat es im Krankenhaus. Ich hatte dort eine Panikattacke. Danach war Sense. Ich kann nur noch mit netten Tabletten schlafen und das hat auch einige Monate gedauert, bis mir die richtigen verschrieben worden sind.


Unfruchtbarkeit, auch ein Thema was mir noch schwer im Magen liegt. Es gibt zwei Möglichkeiten. Entweder man lässt sich Eizellen abernten und einfrieren (dafür war bei mir keine Zeit mehr) oder man bekommt Hormonspritzen, die die Frau in künstliche Wechseljahre versetzt und die Eierstöcke in eine Art Winterschlaf legt. Dabei besteht trotzdem eine 15%ige Wahrscheinlichkeit unfruchtbar zu werden. Ich lese immer wieder von Frauen, die trotz Chemo auf natürlichem Wege wieder schwanger geworden sind und gesunde Kinder bekommen haben. Nur das gibt mir noch Hoffnung.


Angst ist nicht nur eine Emotion. Für mich ist auch das eine Nebenwirkung. Durchzudrehen, das Leben entgleitet. Machtlosigkeit. Das Gefühl in einer Endlosschleife gefangen zu sein. Negative Gedanken versuchen einen ständig noch verrückter zu machen. Die Seele bekommt vorübergehend einen grauen Schleier übergestülpt.


Das schlimmste von allem ist aber die Immunsuppression. Dadurch, dass auch die gesunden Zellen ebenso wie die kranken getötet werden, ist das Knochenmark mit seiner Zellproduktion nun auf Sparflamme und kommt mit seiner Arbeit kaum hinterher. Sobald man einigermaßen wieder auf dem Damm ist, wird mit dem neuen Zyklus wieder alles umgenietet. Jeder Keim wird jetzt potentiell gefährlich. Menschenmengen sollten ohnehin gemieden werden. Isolation in der Isolation. Ein Glück, dass selbst die Öffentlichkeit jetzt jeder maskiert ist. Sie hätten uns auch ohne Corona geschadet. Die Gefahr, mein Kind könnte während der Chemo krank werden und er müsse wieder weg von mir bis er gesund ist, damit er mich nicht ansteckt. Im schlimmsten Fall kann es durch ein Zelltief zu einer Sepsis kommen, wenn man in dieser Situation erkranken sollte.


Ich bin zwar jetzt senil aber dennoch konnte ich alles überdurchschnittlich gut wegstecken. Ich bin dankbar, dass ich nicht unter einem kompletten körperlichen Zerfall leiden musste oder immer noch muss. Wir jungen haben die Kraft es besser weg zustecken, weil diese Therapie ja auch irgendwie 80-jährige überleben müssen, so erklärte mir das heute ein Arzt scherzhaft.

Ich kann noch immer keine Bäume ausreißen aber es wird stetig etwas besser. Ich darf mich nicht überanstrengen, dann merke ich auch nicht die Folgen, dieser aggressiven Therapie.

 

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Hi, danke fürs Vorbeischauen!

Ich freue mich darüber, dass Du dich dafür entschieden hast, dich mit dem Thema "Krebs" ein wenig auseinander zu setzten. Leider Gottes kann es jeden treffen. Wichtig ist, Du bist nicht alleine.

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