Bye-bye my hairy fairytail
Kommt 'n Cowboy vom Friseur... - Pony weg!
Das Thema Glatze ist für Betroffene so wichtig. Für Fremde sind das einfach nur Haare. Für manche ist das aber Kunst, Ausdruck der Persönlichkeit, Leidenschaft und Sexualität. Ein sehr sensibles Thema.
Nach der haarsträubenden Offenbarung meiner Onkologin war mein erster Schritt, mich an eine weltklasse Gruppe in Facebook zu wenden. Mit einem Haufen Respekt im Genick bekommt man dort jeglichen Input, Zuspruch und Ratschläge. Wie auch ich. Ich bekam zahlreiche Zuschriften, Kommentare und Reaktionen auf meinen Post. Ich fühlte mich gehört und wahrgenommen. Es war kein "sie wachsen ja wieder..." oder "gibt wichtigeres im Leben". Klar gibt es wichtigeres im Leben aber über Schokolade, Gummibärchen, Schnitzel, Bier und Lippenstifte sagt auch niemand solch dämliche Floskeln. Gummibärchen braucht auch kein Mensch, trotzdem schaufeln wir sie in uns rein, weil sie einfach gut sind.
Zunächst wurde ich in der Gruppe aufgemuntert. Es waren auch einige dabei, die selbst betroffen sind/waren. Viele erzählten mir, dass sie vorab sich eine Glatze rasiert hätten, da sie den Anblick nicht ertrugen, als die Haare ausgefallen sind. Ein paar andere hatten die Idee, die Haare zu sammeln und eine Perücke daraus zu machen (leider geht das nicht, da das wohl bloß mit unbehandeltem Haar funktioniert). Ich wollte sie auch nicht als Andenken. Was sollte ich damit? Geht doch eh nur im Weg rum und deprimiert mich unnötig? Also, weg damit! Idee vom Tisch.
Ich wurde seelisch darauf vorbereitet, dass es doch ein wenig schmerzhaft sei, wenn die Haare ausgehen würden und das stimmte leider. Es war so als könnte ich die Haarwurzeln vereinzelt wie Wackelzähne spüren, wie Milchzähne die Platz machen mussten. Zu guter Letzt wurde ich mit Informationen ausgestattet, wie ich denn nun eine Perücke "kostengünstig" käme. Ich hatte mir vorab schon einmal eine "preiswerte" Wig auf gut Glück bestellt.
Ich muss hier extra erwähnen, dass ich hier zudem durch die Make-up-Gruppe eine Empfehlung bekommen habe, für eine weitere tolle Gruppe, die sich um Lymphdrüsenkrebs dreht. Auch hier tummeln sich viele wertvolle Personen, die sich gegenseitig sorgsam unterstützen.
Stichwort Perücke.
Haarersatz ist nicht gleich Haarersatz, so viel vorab.
Als erstes ist es wichtig, sich von dem behandelnden ONKOLOGEN ein Rezept für den Haarersatz ausstellen zu lassen. Der Zuzahlungssatz der Krankenkassen kann je nach Krankenkasse variieren.
Schaut euch den Laden genau an. Stellt euch folgende Fragen:
Fühlst du dich gut beraten?
Gefällt dir das Konzept des Geschäfts?
Fühlst du dich verstanden?
Wirst du über alle Optionen gut aufgeklärt?
Bekommst du einen Kostenvoranschlag?
Können mehrere Modelle anprobiert und wieder zurück gesendet werden und zur Not neu bestellt werden?
Ich erwähne es deshalb, weil das für mich persönlich die Unterschiede waren. Ich hatte zwei Vergleichsläden. Während Laden 1 einer Mottenkugel glich, konnte er Laden 2 nicht mal ansatzweise das Wasser reichen.
In Laden 1 war kaum Empathie vorhanden. Die Beratung war schlecht und es wurde mir von Anfang an gesagt, ich müsse mir konkret eine Perücke aus dem Katalog bestellen lassen und die muss auch genommen werden, weil sie keine Lust habe alles hin und her zu schicken.
Adios! Ich fühlte mich in die Ecke gedrängt. Das war nichts für mich. Das muss doch noch besser gehen.
Meiner wunderbaren Schwester wurde ein Laden empfohlen. Der Gedanke daran bereitete mir wenig Freude, da ich Angst hatte das gleiche Spiel wieder zu spielen.
Doch hier war alles anders. Zunächst fand ich es wundervoll, dass es dort einen separierten Bereich für die Beratung und Anprobe von Haarersatz gibt. Es ist schon ein sehr intimes Thema, welches man nicht gerne zur Schau stellt. Die Inhaberin, hatte eine Engelsgeduld und war wirklich 1A empathisch. Ich muss dazu sagen, ich war emotional sehr aufgeladen und war in dieser Situation sehr nah am Wasser gebaut und gleichzeitig frustriert.
Als erstes wurden die versicherungstechnischen Hintergründe geklärt. Fragen wie: "Wie viel zahlt die Kasse?", "In welchem Preisspektrum bewegen wir uns?", dürfen nicht unterschätzt werden.
Danach machten wir uns an meine Vorstellung, wie das ganze auszusehen hat. Unzählige Farbvarianten wurden mir aufgezeigt, die es zu wählen gab.
Diese Dame gab mir KEINEN Katalog zum auswählen. Aus Erfahrung wusste sie, dass die Modelle in der Realität immer anders wirkten, als auf den Illustrationen. Ich war sehr irritiert, aber ich dachte mir: "Gut, so lange ich nichts kaufen muss, kanns mir ja egal sein." Außerdem erwähnte sie direkt, dass wenn in der kommenden Lieferung mir nichts gefallen würde, bestelle sie einfach nochmal eine neue Auswahl an Perücken. Spitzen Einstellung. Das hörte sich vielversprechend an. Kundenservice, top!
![](https://static.wixstatic.com/media/95b8cc_4ea459e95191433db184c0dc160a086c~mv2.jpg/v1/fill/w_619,h_1282,al_c,q_85,enc_auto/95b8cc_4ea459e95191433db184c0dc160a086c~mv2.jpg)
Beim zweiten Date, war ich nun fest entschlossen, den Laden mit langen blonden Haaren zu verlassen. Ich hab' gedacht ich krieg 'nen Nervenzusammenbruch. Ich fühlte mich hässlich. Auch die größten Bemühungen der Beraterin halfen nicht mehr. Die Nerven langen einfach blank. Mit jedem Mal vermisste ich mehr mein altes Antlitz noch mehr. Keine Perücke, kann das je im Leben ersetzten. Alles, wirklich alles, empfand ich als künstlich. Meine Schwester hatte mich an dem Tag als unterstützenden Kraft begleitet. Mutti durfte wegen den Corona-Bestimmungen nicht mit und musste deshalb im Auto warten. Das ist richtig beschissen bei solchen Entscheidungen, die schon mal an die 2000€ im schlimmsten Fall kosten können.
Die Krankenkasse zahlt "nur Haarersatz", das heißt das Minimum, was nur geht. Hauptsach da Schädl is' ned nackig, so stell ich mir die Überlegung vor.
Es gibt eine Vielzahl an Material. Synthetisch, Teilsynthetisch, Echthaar, hiztebeständig... Weiß der Kuckuck.
Alles fühlte sich in dem Moment so schlimm an. Das war nicht ich. Vor allem war es für mich ein Dorn im Auge, dass so gut wie alle Scheitel nach links ausgerichtet sind. Hallo?! Es gibt vielleicht Menschen, wo die andere Seite halt die Schokoladenseite ist? Was soll denn das? Naja, ist halt auch wieder eine eigenartige Norm. An diesem Tag ging ich mit leeren Händen hinaus. Ich war deprimiert und schlapp. An dem Tag war ich ungefähr Tag sieben nach Chemo. Mir war ohnehin schwindlig unwohl und hundsdreckig. Es wurden neue Perücken bestellt. Wir wollten nun auch kurze testen. Zumindest fühlte ich mich so, als könnte ich zur Not auch eine kürzere Perücke tolerieren.
![](https://static.wixstatic.com/media/95b8cc_fa7da7ae1eba463fafefe53c64ca532d~mv2.jpg/v1/fill/w_728,h_1086,al_c,q_85,enc_auto/95b8cc_fa7da7ae1eba463fafefe53c64ca532d~mv2.jpg)
Hurra - es gefällt!
Beim nächsten Anlauf, mit neuer Motivation und mit besänftigtem Gemüt war es dann so weit. Mich störte hier nicht mal der Scheitel. Was ich super fand, dass hier dieser künstliche Haaransatz nicht zu sehen ist. Das hatte mich tierisch bei den anderen Modellen genervt.
Das i-Tüpfelchen war, dass mir hier nicht noch im Preis inbegriffen ein neuer Haarschnitt an der Perücke verpasst worden ist, nein, sogar noch der billigen Wig, damit sie natürlicher ausieht.
On top bekam ich noch die Pflegeprodukte und einen Schutzengel mit dem Angebot, dass ich beim ersten mal Waschen vorbei kommen könnte.
Die Abrechnung war ganz easy. Ich bezahlte einfach den Restbetrag, den die Krankenkasse nicht über nahm.
Ich habe mich nun schon mehr daran gewöhnt, Kunsthaar zu tragen. Ich habe weiterhin Angst, es könnte auffallen, dass es eine Perücke ist. Deshalb trage ich immer noch Mützen zusammen mit der Perücke. Die Akzeptanz wird leichter mit der Zeit.
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